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Krieg und Frieden in Málaga (2)

oliversdrojek

Aktualisiert: 17. März 2022

Der Ukraine-Krieg löst auch in Málaga eine Welle der Solidarität aus. Bürger, Verbände und Behörden sammeln und spenden, organisieren Hilfskonvois, bringen Flüchtlinge an die Costa del Sol. Das Rathaus hisst die ukrainische Flagge, unterstützt mit Logistik. Gleichzeitig verteidigt der Bürgermeister das Museo Ruso, eine Dependance des Russischen Staatsmuseums St. Petersburg, als „kulturelles Gegengift gegen die Barbarei“. Doch die Zukunft des Museums, das perfekt in Putins Weltbild passt, ist so ungewiss wie der Ausgang des Krieges.


Ausstellung Krieg und Frieden in Málaga

Francisco de la Torre, 79, ist seit 22 Jahren Bürgermeister von Málaga. Unter Paco, wie ihn seine Parteifreunde von der konservativen Partido Popular nennen, entwickelte sich die andalusische Großstadt vom unattraktiven Hinterhof der Costa del Sol zum Touristenhotspot mit herausgeputzter Altstadt, palmengesäumten Stränden, Kreuzfahrterminal, 2600 Bars und Restaurants. 2021 wurden 1,7 Millionen Hotelübernachtungen registriert, Airbnb & Co. nicht mitgezählt. Besonders stolz ist der Bürgermeister, der bei den Kommunalwahlen 2023 noch einmal antreten will, auf die Museumslandschaft mit 39 Häusern. Eines davon, das Museo Ruso de Málaga, ist für den erfolgsverwöhnten Paco jetzt ein Sorgenkind.


Russischer Boomerang

Für die Ansiedlung des russischen Museumsablegers hatte sich der Bürgermeister 2014/15 höchstpersönlich stark gemacht. Für sein Engagement erhielt er 2018 im Kreml die Puschkin-Medaille – überreicht von Wladimir Putin am Tag „der Einheit des russischen Volkes“. Das Foto der Zeremonie, das die beiden Politiker beim Handschlag vor einer Fahne der russischen Föderation zeigt, erweist sich seit dem 27. Februar 2022 als gefährlicher Boomerang für den Bürgermeister. An jenem Sonntag, an dem in Málaga wie üblich die Sonne scheint und in Kiew die Sirenen heulen, twittert de la Torre: Um eine „weltweite Hekatombe“ zu vermeiden, solle die EU die Ukraine „ermutigen“, auf die angestrebte Nato-Mitgliedschaft zu verzichten. Prompt erlebt das Foto ein Comeback in den sozialen Netzwerken und regionalen Medien. Daniel Pérez, der Oppositionsführer im Rathaus, fordert den Bürgermeister auf, die Puschkin-Medaille zurückzugeben. Noelia Losada, die Stadträtin für Kultur von der rechtsliberalen Ciudadanos-Partei, plädiert für eine „Hibernation“ des russischen Museums. De la Torre kontert, Kultur sei das beste Mittel gegen Barbarei, man müsse „zwischen der Kultur des russischen Volkes und seinen Regierenden“ unterscheiden.

Während die Bürger Málagas allein in der ersten Kriegswoche über 50 Tonnen Hilfsgüter spenden, die in sieben Fahrzeugen an die polnisch-ukrainische Grenze transportiert werden, entpuppt sich Francisco de la Torre als eine Art Gerhard Schröder a la andaluza. Einerseits verurteilt er die Invasion, andererseits bemüht er sich, das Museo Ruso als eine von der Politik unabhängige kulturelle Institution darzustellen. Während die EU gegen Russland die schärfsten Sanktionen ihrer Geschichte verhängt und ausdrücklich die kulturelle Zusammenarbeit auf staatlicher Ebene in den Boykott miteinschließt, plädiert de la Torre dafür, „die Entwicklung der Ereignisse abzuwarten“ und den Museumsbetrieb aufrecht zu erhalten. Das Haus sei eine Bereicherung für Málaga, es zu schließen „schlecht für das kulturelle Niveau“ der Stadt. Die Forderung nach einer Rückgabe der Puschkin-Medaille hält er „für eine politische Pose“. Der Kreml-Orden sei ein „Symbol der Kultur des russischen Volkes“, die Rückgabe hält er für eine „überhitzte Reaktion“, vorher müsse er sich erst einmal mit dem Außenministerium in Madrid beraten.

Eine ganze Woche lang verheddert sich der Polit-Veteran in Äußerungen, die für Befremdung und Kopfschütteln sorgen, nicht nur bei der Opposition, sondern auch beim Koalitionspartner im Rathaus. Medaillen seien ihm egal, die Ukraine-Invasion kategorisch abzulehnen sei für ihn kein Grund, die guten Beziehungen zum russischen Botschafter aufzugeben. Er wolle den Diplomaten, der sich persönlich für die Verleihung der Medaille eingesetzt hatte, erst einmal um „seine Meinung“ bitten.


Bürgermeister Málaga Francisco de la Torre
Bürgermeister Francisco de la Torre. Bild: Despierta Andalucia, Canal Sur Noticias

Pacos politische Instinktlosigkeit zwingt Andalusiens Ministerpräsident Juanma Moreno Bonilla, der gleichzeitig Landesvorsitzender der Partido Popular ist, die Notbremse zu ziehen. In einem Radiointerview fordert Moreno Bonilla seinen Parteifreund auf „über die Möglichkeit nachzudenken, die Medaille zurückzugeben“. Das Foto von 2018 mit dem Kreml-Chef bezeichnet der Ministerpräsident als „unbequem“. Wie starsinnig de la Torre sein kann, beweist er am gleichen Tag vor einer Pressekonferenz mit regionalen und landesweiten Medien: „Ich habe keinerlei Ambitionen, Medaillen anzuhäufen“. Er sei nicht der Einzige in Spanien, der diesen Orden erhalten habe, es ginge ihm um die Kontinuität eines „städtischen Museums, das eine wichtige Rolle im kulturellen Leben der Stadt hat“. Außerdem wolle er nicht „die bilateralen Beziehungen zwischen Spanien und Russland belasten“. Am Tag darauf dann die Kehrtwende: Der Stadtobere gibt bekannt, Putins Auszeichnung zurückzugeben. Im gleichen Atemzug scheint er sich bei Moskau zu entschuldigen. Er hoffe, möglichst schnell mit dem russischen Botschafter sprechen zu können, um ihm die Gründe zu erklären. Im Übrigen sei die Rückgabe der Medaille vollkommen „wirkungslos“.

Museum im Winterschlaf

Nach dem Willen des Bürgermeisters soll das Museo Ruso den Betrieb fortsetzen, mindestens bis zum 24. April, dem letzten Tag der jährlich wechselnden Ausstellungen. Für diese hatte Málaga 400.000 Euro nach Sankt Petersburg überwiesen – vor Ausbruch des Krieges, betont die Stadträtin für Kultur. Nach ihrem Willen soll das Museum nach dem Stichtag in eine Phase der Hibernation eintreten. Was mit den Exponaten passiert, ob sie zurück ins Stammhaus geschickt werden können oder nicht, welche Perspektive es für die 80 Mitarbeiter gibt, die sich jetzt Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen: Das weiß zurzeit niemand. Währenddessen bemüht man sich um Normalität und vermeidet jeglichen Bezug auf den Krieg, der Europa und die Welt erschüttert. In der Ukraine sterben die Menschen, im russischen Museum zu Málaga läuft weiterhin alles nach Plan. Dazu gehört neben einer Schau russischer Avantgarde-Kunst und einer Kinoreihe mit Dostojewski-Verfilmungen aus der Sowjetzeit auch die Ausstellung „Guerra y Paz“, in der zahlreiche Schlachtenbilder aus der Zeit der Zaren und Stalins die Größe Russlands beschwören. Als Franchise-Ableger des Sankt Petersburger Stammhauses beschäftigt das Haus in Málaga kein selbständiges Direktorium. Die Gelegenheit, das Ausstellungszentrum in der historischen Tabakfabrik zu einem Forum gegen Putins Angriffskrieg zu machen, wird nicht einmal angedacht. Stattdessen lädt man am Wochenende Familien zu Bastel-Workshops ein.



Wie lange das noch so weitergeht, dürfte nicht zuletzt vom russischen Kulturministerium abhängen, das bereits andere westeuropäische Länder aufgefordert hat, Leihgaben zurückzugeben. Davon betroffen sein könnte auch Vasily Klyukins Bronzeskulptur „Big Ego“. Das Werk des russischen Gegenwartskünstlers hat einen Durchmesser von über vier Metern und gehört zum Zyklus Civilization. The island of the day before. Vor der Südfassade des Museo Ruso gegenüber von der Strandpromenade reflektiert es die Sonne Andalusiens. Den Text zum Werk liefert ein QR-Code im Sockel: „Nur mit einem solchen Ego und großartigen Ambitionen kannst du die Welt wirklich am Laufen halten, ein Imperium aufbauen und die höchsten Gipfel erreichen“.




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