Philippe Starck, der „Popstar unter den Designern“, weitet sein Imperium der Erlebnisarchitektur nach Andalusien aus. In der Stierkampf-Hochburg Ronda verwandelt der kreative Franzose einen Öko-Olivenhain in ein erlebnisorientiertes Besucherzentrum. Das Prestigeprojekt wird mit öffentlichen Krediten unterstützt und soll 2023 fertig sein. Auf der 25 Hektar großen Finca kann man jetzt schon in das andalusische Universum des Philippe Starck eintauchen.

Eine Zitruspresse aus Aluminium, die an eine Rakete erinnert. Ein Armlehnstuhl aus transparentem Kunststoff. Ein Luftschloss auf dem Dach eines Hochhauses. Alle kennen Philippe Starck, den 1949 geborenen Stardesigner und Architekten. Mit 16 Jahren gewann er mit einem Möbelstück seinen ersten Preis. 1982 krempelte er den Élysée-Palast um. Starcks Zahnbürsten, Lampen, Badewannen, Hotels und Restaurants sind Kult.
Seit den 1990er Jahren ist die Koryphäe des Neuen Designs Geschäftspartner von Pedro Goméz de Baeza. Zusammen mit dem Investmentbanker lancierte er die Olivenöl-Marke „LA Organic“, ein Premiumprodukt, das auf einer Finca bei Ronda produziert und in Feinkostläden von Paris bis New York verkauft wird. Im Marketing setzt die Marke auf Starcks Popularität und die von Literaten wie Prosper Mérimée und Rainer Maria Rilke begründete Berühmtheit Rondas als abenteuerlich-romantischem Pueblo Blanco, wo Ernest Hemingway und Orson Welles todesmutigen Stierkämpfern zujubelten. Die Begeisterung des amerikanischen Filmgiganten für Ronda ging so weit, dass er per Testament festlegte, seine Urne auf der Finca des legendären Torero Antonio Ordóñez bestatten zu lassen (wo sie seit 1987 in einem Brunnenschacht ruht).
Klotzen, nicht kleckern
Der Olivenhain von LA Organic liegt weniger als 5 km von der „Citizen Kane“- Gruft entfernt. Bereits das wuchtige Eingangstor aus Edelroststahl mit einem stilisierten Stierhorn trägt die Handschrift von Philippe Starck. Auch der fußballfeldgroße Parkplatz mit über 50 Stellplätzen, Trockensteinmauern und stahlgerahmten Fotografien im XXL-Format signalisiert: Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Ein von Zypressen gesäumter Pfad führt auf einen erhöht liegenden Pavillon im Stil eines Gewächshauses. Dort begrüßt uns Nelly Samper. „Wir befinden uns im Greenhouse, hier beginnt La Organic Experience, eine Erfahrung, die von Philippe Starck konzipiert wurde und alle Sinne anspricht“, erklärt die aus Südfrankreich stammende junge Frau, die schon ein paar Jahre in Andalusien lebt und für Promotion und Public Relations zuständig ist. An den Wänden und Decken prangen überdimensionale Reproduktionen spanischer Meister sowie präparierte (echte) Stierköpfe. Das manieristisch-folkloristische Dekor steht im Kontrast zu funktionalen Elementen aus Aluminium und den hohen Regalen im Industrielook, in denen die Produkte des Hauses samt Starck-Merchandising präsentiert werden.
Nelly startet ein Video, das im Kinoformat auf die Wand gebeamt wird. In wenigen Minuten spannt es den Bogen von der antiken Ölbaumkultur bis in die Gegenwart bzw. nahe Zukunft, die 2023 mit der Einweihung des Starckschen Bauwerkes „El Toro“ beginnen wird. Der Film zeigt Computeranimationen eines Monolithen, etwa so hoch wie ein Wohnblock mit vier Stockwerken, gekrönt von einem gigantischen Stierhorn, das über einer an Stahlketten aufgehängten Plattform in den Himmel ragt. Das skulpturale Bauwerk ist fensterlos. Ins Auge stechen weiterhin ein Riesen-Auge und ein Riesen-Ei, eine Hommage an zwei visionäre Andalusier: Picasso und Ibn Firnas. Letzterer wurde im 9. Jahrhundert in Ronda geboren und ging als islamischer Gelehrter und Flugpionier in die Geschichte ein. Die Stimme im Off zitiert Starck: „Ich möchte, dass die Menschen von der Magie Rondas ergriffen werden und sich kreativ inspirieren lassen”. Der Betonstier soll aus recycelten Materialien erbaut werden und wird auf 2600 Quadratmeter Fläche eine Hightech-Ölmühle, ein Forschungslabor sowie ein Visitor Center mit Restaurant und Auditorium beherbergen. Die Besucher sollen einen direkten Einblick in den Produktionsablauf bekommen und per Multimedia in die Geschichte der mediterranen Ölbaumkultur eintauchen. Nach dem Yachthafen Puerto Adriano auf Mallorca und dem Kulturzentrum La Alhóndiga in Bilbao ist „El Toro“ Starcks drittes Projekt in Spanien.
Nach dem Film setzen wir uns mit Nelly ins Golfbuggy und erkunden das Anwesen. Der Olivenhain ist akkurat bestellt, aber keine monokultivierte Plantage. Zwischen hundertjährigen und jungen Bäumen gedeihen Gräser und Kräuter. Es duftet nach Lavendel, Rosmarin und Thymian. Im andalusischen Garten Eden ist auch Platz für Orangen, Zitronen, Feigen, Granatäpfel und einen Öko-Gemüsegarten. Der französische Starönologe Michelle Rolland hat einen Weinberg angelegt. Nelly stoppt an einer Kapelle aus Ziegelstein: „Die Geschichte der Finca geht auf Nonnen zurück, die hier vor über 200 Jahren begannen, Olivenöl zu pressen. Es wurde schnell für seine exzellente Qualität bekannt. In den 1990er Jahren wurde das Grundstück von den jetzigen Besitzern erworben. Die Oliven gedeihen ohne chemische Düngemittel und werden im Oktober per Hand geerntet, was die Früchte schont. Direkt vom Baum gelangen sie in die Presse, ohne längere Zwischenlagerung. Das ermöglicht die Herstellung eines sehr feinen Öls mit einem geringen Säuregrad, das reich an aromatischen Nuancen ist“. Die Kapelle wurde von Starck restauriert, ebenso der dazugehörige Brunnen mit einem Wasserspeier, der an eine etruskische Maske erinnert.
Mein Freund der Baum
Zu Fuß geht es durch eine botanische Sammlung mit einheimischen Ölbäumen der Sorten Arbequina und Hojiblanca sowie anderen Vertretern aus dem gesamten Mittelmeerraum. Die beeindruckendsten Exemplare sind wie Skulpturen in Szene gesetzt. An einigen Bäumen sieht man Namensschilder. „Es sind die Namen von Menschen, die einen Baum adoptiert haben. Die Adoptiveltern nehmen an einem Meisterkurs mit unserem Oleologen teil und bekommen jedes Jahr frischgepresstes Öl ins Haus geliefert“, berichtet Nelly. Zwischen den Bäumen und an erhöht liegenden Aussichtspunkten trifft man effektvoll platziert auf Starcksche Objekte: ein riesiger Spiegel, in dem man die umliegenden Berge der Serranía de Ronda aus einem anderen Winkel betrachtet; ein Stuhl vor einer Eisenwand mit Guckloch; ein stilisierter Stierkopf als Quadrat.
Château der Ölbaumkultur
Schließlich erreichen wir den Hügel, auf dem schon die Planierungsarbeiten für „El Toro“ begonnen haben. Nelly: „Es handelt sich europaweit um das erste Designer-Projekt dieser Art in der Olivenöl-Branche“. Kostenpunkt: 11 Millionen Euro - verglichen mit Starcks surrealem Luftschloss-Hotel „Maison Heler“ in Metz (23 Millionen Euro) i eine eher bescheidene Summe. Die andalusische Regionalregierung hilft mit einem 4-Millionen-Kredit und zapft dafür EU-Gelder an. Als Vorbilder dienen spektakuläre Weinkeller wie Starcks „Château les Carmes Haut-Brion“ im Bordeaux und die von Frank O. Gery entworfene „Bodega Marqués de Riscal“ in La Rioja. Wie diese soll auch „El Toro“ – offiziell das letzte architektonische Werk der Starckschen Karriere – international Aufsehen erregen und die Position Andalusiens als weltweit größtem Olivenölproduzenten unterstreichen. Die Stadt Ronda, die 2019 von über 265.000 Touristen besucht wurde, erhofft sich dadurch ein Plus an Übernachtungen der zahlungskräftigen Klientel.

Letzter Stopp ist das Hotel „Cortijo LA Organic“. Es liegt einem sonnigen Hang mit Panoramablick bis zur Sierra de Grazalema. Die lamellierten Fensterläden aus Holz sehen eher nach Provence als nach Andalusien aus. Das Boutique-Hotel hat nur vier Zimmer, sie sind ganz in Weiß minimalistisch gestylt, getreu der von Starck propagierten Ethik des Weglassens: Möbel, Lampen, freistehende Badewanne und Armaturen – alles made by Starck. Und vom Bett aus blickt man dem spanischsten aller Tiere in die Augen. In diesem Fall ist der Stierkopf aus Esparto-Gras geflochten. Aber die Hörner sind echt, Olé!
Comments